Vor gut einem Jahr habe ich es gewagt: Ich habe meine "sichere" Position in einem multinational tätigen Unternehmen beendet, um zu erproben, wie sich "Selbständigkeit" anfühlt. Viele Jahre habe ich über diese Veränderung nachgedacht, sie herbeigesehnt, sie gefürchtet. Ich habe mich abwechselnd ermutigt, belächelt, verurteilt und verachtet. Und dann habe ich es endlich in die Wege geleitet.
Meine Erfahrung
Diese Erfahrung des "Ausstiegs" möchte ich hier reflektieren und teilen. Ich bin ursprünglich Linguistin, Sprache fasziniert mich - schauen wir uns doch das Wort mal genauer an: um aus etwas "auszusteigen", muss ich erst mal anhalten oder zumindest Tempo rausnehmen. Denn wer bei voller Fahrt aussteigt, riskiert den Halt zu verlieren. Ein Alltag auf Hochtouren lässt wenig Raum, um alternative Formen der Lebensgestaltung umzusetzen (oder auch nur ernsthaft darüber zu sinnieren). Er ist ja schlicht vollständig belegt, dieser Alltag, meistens sogar überbucht.
Vermutlich gelingt es deswegen so vielen Menschen erst nach einem einschneidenden Erlebnis wie z.B einem Burn Out, ihre Lebensführung grundlegend zu verändern. Nur dass derart drastische Erlebnisse einer Vollbremsung gleichen. Und die ist verletzungsträchtig, es lohnt sich also gewiss, nach gesünderen Methoden Ausschau zu halten.
Meine Erkenntnis, die ich in der professionellen Begleitung von Menschen in Transformationsprozessen zwar immer wieder gepredigt habe, nur erst durch die Selbsterfahrung der letzten Jahre wirklich erlebt habe: Es braucht das Innehalten, das "sich entziehen", um überhaupt in eine Lage zu kommen, etwas grundlegend zu verändern.
Reflexionen zur Transformation
Für mich war das entscheidende Momentum ein zweimonatiger Sabbatical. In dieser Zeit habe ich voll und ganz auf Entschleunigung gesetzt, mich "auf's Land zurück gezogen", auch mal eine gute Woche lang ganz alleine mit mir verbracht. Mich bewusst ganz anderen Tätigkeiten zugewandt: dem Anlegen eines Permakultur-Gartens und dem Yoga.
Und ich habe gemerkt, dass ich mir selbst genügen kann.
Der Ausstieg aus dem Büro- und zeitweise dem Berufsalltag hat mir ermöglicht, aus der energiezehrenden Dauerschleife des Vergleichens mit Anderen aus zu steigen. Das war enorm heilsam, habe ich mich doch Zeit meines Lebens im Grunde immer "in Relation zu anderen" definiert, und darüber meine Daseinsberechtigung gezogen. Nur mit mir zu sein, mich auf meine ganz individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse zu fokussieren, das hat mir Entfaltung von innen heraus ermöglicht. Dieses Gefühl habe ich abgespeichert und nutze es bis heute als Ressource.
Ist das immer einfach und rosarot? Auf keinen Fall. Entwicklung verläuft selten gradlinig, die Gemengelage unserer Empfindungen und Kapazitäten ist komplex und manchmal fast widersprüchlich - es bedarf dem kontinuierlichen Aufbau von "Komplexitätstoleranz und -kompetenz", um hier die Balance zu halten.
Die Angst vor finanziellem Ruin und professionellem Versagen (im Grunde die Angst, nicht zu genügen) hat mich nicht verlassen - sie hat nur mehr und mehr an Bedeutung verloren. Wann genau? Warum genau? Das kann ich so klar nicht benennen. Veränderung ist ein fließender Prozess, ein leiser Prozess.
Die Antagonisten von Angst sind Vertrauen und Zuversicht. Diese Qualitäten aufzubauen, auszukosten, das ist ganz gewiss ein wichtiges Vehikel auf dieser meiner Reise der Transformation. Ich habe mich entschieden, meinen Fokus auf diese Qualitäten zu richten und sie damit zu nähren und zu stärken. Worauf wir unsere Energie richten, das liegt immer noch in unserer Macht. Und dort wo wir sie hinlenken, da wird sie wirksam.
Rückblickend erscheint es mir manchmal so, als wäre in dieser Auszeit, in der Zeit des Ausstiegs und Rückzugs, ein lange schlafendes Samenkorn in mir gekeimt. Wenn ich meine Aufmerksamkeit dorthin lenke und die Veränderungen in mir reflektiere, dann kann ich es wachsen sehen, dieses zarte Pflänzchen. Die Wurzeln sind schon ganz schön kräftig, und zarte Blüten zeigen sich immer öfter. Das ist meine Metapher für "inner work". Und dafür, dass gesunde Transformation nur organisch wachsen kann. Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.
Viele Dinge haben nicht so funktioniert, wie ich mir das erhofft oder erträumt hatte. Dafür haben sich Optionen ergeben, die ich vorher gar nicht in Betracht gezogen habe. Immer öfter begleiten und unterstützen mich Neugier, Forschergeist und das Vertrauen, dass es Gut wird - "inner glow" nenne ich es für mich, ein warmes, ein beruhigendes, ein kräftigendes Gefühl.
Wohin mich die Reise führt, das kann ich nicht wissen und nichts und niemand kann mir "Erfolg" garantieren. Gleichzeitig fühle ich mich ermächtigt, "Erfolg" für mich selbst zu definieren - immer öfter in ganz anderen Kategorien als finanziellen Einnahmen. Und das allein ist schon eine Befreiung, die häufig vorherrschende Definition von "Reichtum" wieder auszudehnen auf Dimensionen des Geistes und des Herzens. Ich habe aktuell sehr viel weniger finanzielle Mittel geschweige denn Sicherheit, bin also per gängiger Definition durch meinen Ausstieg ärmer geworden. Und gleichzeitig fühle ich mich so viel reicher. Reicher, beschenkt und erfüllt - mit Handlungsfreiheit, Gestaltungsspielraum und Erlebnissen.
Sandra Wegmeyer & Elske Jilli- González
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In unseren Blogbeiträgen beleuchten wir verschiedene Aspekte und Perspektiven von Transformation.
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